Christina Rühl
Jenseits von Schuld und Sühne
Literatursoziologisch-kriminologische Aspekte
ausgewählter
Kriminalliteratur
Kapitel
7. 3. 1. Peter Schmidt
Der Deutsche Peter
Schmidt trat in Carrés Fußstapfen und schärft in seinen Büchern das Bewusstsein
für destruktive Ideen, Energien und Mechanismen des politischen Alltags. In „Der Agentenjäger“ (1986) beschäftigt sich Schmidt mit der Vertuschung eines politischen Mordes. In „Augenschein“ (1983) thematisiert er die moralischen Skrupel eines von hohen
bundesrepublikanischen Dienststellen zur Agententätigkeit erpressten
Staatsanwalts. In den Romanen Schmidts wird die Schattenseite der
anwendungsbezogenen Bedarfsforschung, der die Chicagoer Schule zuzuordnen ist,
ersichtlich. Wie die Vertreter der kritischen Kriminologie – die ich an
späterer Stelle erörtern werde – legt der Autor den Machtanspruch des
Kriminaljustizapparats und der Politik bloß. In „Augenschein“ und „Erfindergeist“ (1997), in denen jeweils der Ost-West-Konflikt den
Hintergrund bildet, zeigt Schmidt, wie jenseits strikter Wertfreiheit
politische und persönliche Handlungsstrategien mithilfe des
Kriminaljustizapparats legitimiert und ermöglicht werden. Gleichzeitig bricht
er mit Elementen, Strukturen und Figuren des idealtypischen
(Spionage-)Thrillers.
In „Augenschein“ wird
das Ende des Romans – die Ermordung des vermeintlichen Ostagenten Toffler –
bereits im ersten Satz angekündigt und damit die sonst im Thriller
vorherrschende Zukunftsspannung stark zurückgenommen. Stattdessen rückt der
Blickpunkt des Lesers auf die Anordnung der Figuren. Scheinen der Ich-Erzähler
Cordes, sein Chef F. und der Ostflüchtling Toffler zunächst eindeutig der
ingroup bzw. outgroup zuzuordnen zu sein, verschwimmen im Laufe des Romans die
Grenzen immer mehr, bis schließlich Cordes gemeinsam mit Toffler die ingroup
bildet und sich ohne Erfolg gegen F., den Vertreter des westdeutschen Staats
und dessen Geheimdienst, zur Wehr setzt. Auch in „Erfindergeist“ verschwimmen
die Grenzen zwischen Gut und Böse. Anhand des Ich- Erzählers Ralf Känder zeigt
Schmidt, wie persönliche Motive eine Staatskrise heraufbeschwören können. Um zu
verhindern, dass der Kölner Militärische Abschirmdienst (MAD) dem
Bundesnachrichtendienst (BND) in München unterstellt und er selbst in den
Innendienst versetzt wird, inszeniert der Agent eine raffinierte Intrige.
Obwohl Känder (und nicht ein feindlicher Spion aus dem Osten) damit die
Sicherheit Deutschlands gefährdet, bildet der Ich-Erzähler die
Identifikationsfigur für den Leser. Im Gegensatz zum typischen Thriller-Helden,
der für das Gute kämpft, setzt sich Känder nur für seine eigenen Interessen ein
und hat den Glauben an eine bessere Welt verloren:
„Ich hatte schon
lange jeden Ehrgeiz aufgegeben, die Welt zum Besseren zu wenden. Ein
fruchtloses Bemühen. Wenn man diese Schnapsidee einmal fallengelassen hat, soll
man auch keine Skrupel haben, sich zum Gegenteil zu bekennen. Halbherzigkeit
ist Schwäche.“ Die Prämisse des Spionagethrillers, das die
Interessen des Staates den Tod eines feindlichen Agenten rechtfertigen, wird
von Schmidt auch in „Augenschein“ hinterfragt und ad absurdum geführt: Nicht
Toffler bedroht die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, sondern, wie sich am
Ende herausstellt, sind Agenten des Kriminaljustizsystems – verkörpert durch
den Kontaktmann F. – die wahre Gefahr.
Am Anfang des Romans
ist F. für den Ich-Erzähler allerdings „so etwas wie moralische Aufrüstung,
Beichtvater und Psychotherapeut“. Mithilfe von schmutzigen Tricks (Cordes’
Scheitern als Staatsanwalt war vom Geheimdienst eingefädelt worden) bindet die
Organisation ihn an sich; die Bedenken des Ich- Erzählers hält F. in Schach. So
erklärt der Kontaktmann das erbarmungslose Vorgehen gegenüber den angeblichen
Staatsfeinden mit folgenden Worten: „Sie wissen ja: Es
sind einnehmende Burschen, die man uns herüberschickt. Keiner darunter, dem
man seine dunklen Absichten ansieht, und je mehr wir von ihnen abfangen, desto
gerissener werden sie.“
Die These der
Chicagoer Schule, dass sich kriminelles Verhalten je nach Umwelteinfluss
ausbilden kann, treibt F. auf die Spitze:
„’[...] Ich glaube,
Menschen gleichen Briefbomben: Man weiß erst, was in ihnen steckt, wenn sie
bereits explodiert sind.“ Staatsanwalt Cordes,
dessen Ermittlungen und Gutachten über vermutete Ostagenten als Rechtfertigung
für deren Beseitigung dienen, ist sich über di e Tragweite seiner Berichte
bewusst. Er lehnt es jedoch ab, die Rolle des „Henkers“ zu übernehmen. F.
hingegen bedient sich der Termini des Kriminaljustizsystems, um die Morde zu
rechtfertigen: „Er [F.] hielt es
für besser, mich über Einzelheiten der Hinrichtungen (er sagte ‚Hinrichtung’,
nicht ‚Mord’ – so als handele es sich um die Vollstreckung eines
rechtskräftigen Urteils) im Unklaren zu lassen. Ich erfuhr nicht einmal, ob die
Schuldsprüche, die aufgrund meiner Ermittlungsarbeit gefällt wurden, auch immer
die ‚äußerste Konsequenz’ (wie F. es gelegentlich abschwächend nannte) nach
sich zogen.“
Gleichzeitig zeigt F.
die Grenzen des Justizsystems auf und vertritt die dem idealtypischen
Spionagethriller immanente These, dass es Fälle gebe, „in denen ein Individuum
dem Land voraussichtlich mehr schaden wird, als die moralischen Bedenken gegen
seinen Tod wiegen könnten.“
Er sieht es als seine
Aufgabe, „Aufträge von höchstem Staatsinteresse in einer Weise zu lösen, die
sich mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht erreichen ließen“ und verkehrt damit
den Pragmatismus der anwendungsbezogenen Bedarfsforschung ins Negative. Cordes,
der sich nicht davon überzeugen lässt, „daß dieses Verfahren durch politische
oder weltanschauliche Erwägungen zu rechtfertigen ist“, verteidigt es
allerdings gegenüber Barbara. Erneut wird die These eines unzulänglichen
Kriminaljustizsystems in den Raum gestellt, um die sonst als Notwehr
dargestellte Liquidierung des feindlichen Agenten moralisch tragbar zu machen.
Darüber hinaus siegt erneut der Pragmatismus über das Rechtsverständnis. Doch
im Gegensatz zur anwendungsbezogenen Kriminologie wird nicht der
Resozialisierung Rechnung getragen, sondern das Verbrechen als unabwendbar
dargestellt und die Vorstellung einer positiven Generalprävention negiert.
„’Nehmen
wir mal an’,
begann ich, ‚Ihre Freundin würde Sie hintergehen: belügen, betrügen,
bestehlen,
gegen Sie intrigieren, wie auch immer. Doch Sie hätten keine rechtliche
Handhabe gegen sie, keine dem Gesetz nach überzeugenden Beweise. [...]
Und nun
ergäbe sich plötzlich die Gelegenheit, sie auf leichte und unauffällige
Weise
loszuwerden. Sagen wir es offen: durch Mord. Sie wüssten, daß Ihnen ohne
diese
Tat in Ihrem ferneren Leben unabsehbarer Schaden zugefügt würde. Auch
das Gesetz
rechtfertigt schließlich die Strafe, und je nachdem das Todesurteil,
durch ein Schaden-Nutzen-Verhältnis und nicht etwa nur durch den
Sühnegedanken. [...]’“
Der Ich-Erzähler
verkehrt damit die gerichtliche Verfahrensweise und die Unschuldsvermutung in
ihr Gegenteil: Bevor der „Angeklagte“ überhaupt eine Straftat begangen hat,
wird er präventiv für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Dass Cordes
von diesem Vorgehen allerdings nicht wirklich überzeugt ist, zeigt sich in der
negativen Einstellung gegenüber seiner Tätigkeit und seinem Arbeitgeber, dem
westdeutschen Staat. Cordes hält nur aus Trägheit, mangelnden beruflichen
Perspektiven und dem Zwang, die wahren Schuldigen auszumachen, an seinem Job
fest und zieht einen Vergleich mit der nationalsozialistischen Diktatur: „Denn vermutlich hatten all die unzähligen
Schreibtischtäter in den KZ der Vergangenheit nur aus Trägheit und nicht aus
Überzeugung stillgehalten. Es war die Müdigkeit, sich gegen die kleinen
Unannehmlichkeiten aufzulehnen, die sich zwangsläufig ergeben würden: die
Vorstellung, ihren Vorgesetzten widersprechen zu müssen, die Kälte in ihren
Gesichtern, der plötzliche Verlust des Vertrauens, die Veränderung im
Arbeitsklima, wenn man morgens seine Bürotür öffnete [...] – diese kleinen
Repressalien waren es, noch bevor das eigentliche Verfahren begann.“
Entgegen den
Konventionen des Thrillers lehnt er es jedoch ab, die Ostflüchtlinge als
Inkarnation des Bösen anzusehen. Dementsprechend tragen Toffler und die
ostdeutschen Wachmänner keine sie stigmatisierenden Züge. Auch das
Action-Element und die damit ständige Bewegung des Protagonisten sind in
„Augenschein“ stark eingeschränkt: Das Leben des Ich-Erzählers spielt sich „in
dem Dreieck von kaum einem Quadratkilometer Größe“ ab. Statt Toffler zu
verfolgen, verhört er ihn in einer Berliner Wohnung nahe der Mauer und führt
mit ihm intellektuelle Gespräche über den dialektischen Materialismus und die
Parteiendiktatur. Anders in „Erfindergeist“: Hier bewegt sich Känder permanent
durch München, wird verfolgt und setzt sich mit körperlicher Gewalt zur Wehr.
Seine Widersacher rekrutieren sich allerdings nicht aus dem sozialistischen
Ausland, sondern dem konkurrierenden Münchener Geheimdienst. Deren Beseitigung
(Känder droht von Mitarbeitern des BND als MAD-Agent identifiziert zu werden)
wird wie im idealtypischen Thriller als Notwehr gerechtfertigt.
Schmidt verzichtet in
beiden Romanen jedoch auf die dem Thriller eigene Effektmassierung: Seine Welt
strahlt weniger die abenteuerliche Atmosphäre eines James Bond aus als den
tristen Charme einer Behörde. Konsequenter weise vermeidet er ebenfalls die
Überhöhung seiner (Anti-)Helden. Die physischen und psychischen Schäden
bedingen sogar erst das Verhalten der Protagonisten. Als Känder sich aufgrund
seiner Nachtblindheit durch ein Treppenhaus tastet, gehen im folgende Gedanken
durch den Kopf:
„Er [Stankowitz,
Känders Chef] wollte mir einen ruhigen Schreibtischposten in der Kölner
Zentrale verordnen (und ahnte dabei nicht, daß ich mit dem Rücken zur Wand
kämpfte, weil Büros Gift für mich bedeuten). [...] Ich brauche den Außendienst
wie andere die Atemluft.“ Auch Cordes erscheint
in „Augenschein“ als ein psychisches Wrack. Lange Strecken des Romans kämpft er
weniger gegen einen äußerlichen als innerlichen Feind in Form von Depressionen
und Halluzinationen, die durch das Anti-Depressiva Ampheton hervorgerufen
werden.
Wie Känders Phobie
vor geschlossenen Räumen sind auch Cordes’ Probleme auf ein Erlebnis in der
Vergangenheit zurückzuführen: Aufgrund seiner Erfahrungen als Staatsanwalt
hängt seine Existenz davon ab, ob er die Gewissheit erlangt, dass die
Ostflüchtlinge schuldig sind oder nicht. Er hat keine Angst vor dem Tod,
sondern davor, erneut einen Unschuldigen ans Messer zu liefern. Damit ist die
Zielsetzung des Ich-Erzählers eine andere als die des idealtypischen
Thrillerhelden. Cordes möchte Toffler nicht eliminieren, sondern die Wahrheit
über die Schuld oder Unschuld des Ostflüchtlings herausfinden.
Damit tritt –
ungewöhnlich für den Thriller – die Rätselspannung in den Vordergrund. Wie der
Titel „Augenschein“ bereits suggeriert, verfolgt der Protagonist das Ziel
„einer nie erreichbaren Gewißheit nachzujagen, das war schon meine Profession
als Staatsanwalt gewesen, um hinter dem „Augenschein“lichen das zu sehen, was
wirklich war“.
Toffler selbst zeigt
sich in puncto Kriminalität als Experte: Er arbeitet als Kriminologe. Seine
Vorstellung, dass nur ein „Wille zum Guten“ die Gesellschaft vor einer
Katastrophe retten könne, erinnert an die positive Generalprävention, die den
symbolischen Gehalt von Strafnormen und die allgemeine Einübung in Rechtstreue
akzentuiert. Verbunden mit der Frage, ob Westdeutschland wirklich jene freie
und offene Gesellschaft darstellt, kommt Toffler darüber hinaus auf die
Wechselwirkung von Individuum und Gesellschaft und die menschlichen Schwächen
zu sprechen:
„Einer meiner
Kollegen im Westen hat einmal gesagt, [...] daß jeder letztlich dafür
verantwortlich sei, was man aus ihm mache, selbst dann, wenn ihm nichts anderes
übrig bleibe, als die Verantwortung auf sich zu nehmen. Er sei davon
überzeugt, daß der Mensch immer etwas aus dem machen könne, was man aus ihm
mache. [...] Ich frage mich nur, warum die Reichsten nicht zugleich die
Menschlichsten sind – warum Besitz in Habgier umschlägt und nicht die Grundlage
für Vertrauen, Liebe und Aufrichtigkeit schafft.“
In „Erfindergeist“
werden im Zusammenhang mit dem schizophrenen Traphan die Disposition zum
Verbrechen und die Bedeutung des Umwelteinflusses thematisiert. Der Arzt
Traphans warnt: „’[...] Er mag
Ihnen ganz normal erscheinen. Aber bei irgendeiner vom Normalen als geringfügig
angesehenen Provokation kann es zur Katastrophe kommen.’ – ‚Gilt das nicht für
alle Insassen? Auch diejenigen, die täglich Freigang bekommen? Ich meine: Ist
nicht auch jeder Normale in diesem Sinne ein Risiko?’“
Die Thesen der
Chicagoer Schule kommen ebenso in einer kurzen Szene in „Augenschein“ zum
Ausdruck. Auf die Frage, ob der betrunkene Obdachlose selbst für sein Schicksal
verantwortlich sei, entgegnet Cordes: „[...] es spreche mehr dafür als dagegen, daß er ein von Neuronen,
Nervenverdrahtungen, Sinnesimpulsen, Gefühlen und Instinkten geleiteter Automat
sei; von den sozialen Bedingtheiten ganz abgesehen.“
Am Ende stellt sich heraus,
dass die wahren Verbrecher weder bei den Obdachlosen noch den Ostflüchtlingen
auszumachen sind. Obwohl immer wieder der Ost-West-Konflikt angesprochen und
gemäß der Tradition des Thrillers ein gegnerischer Spion als Feind erwartet
wird, geht die Bedrohung von westdeutschen Geheimagenten und dem
Konkurrenzkampf der Behörden aus. In „Augenschein“ entpuppt sich F. als
intriganter Mörder, der Cordes „politisch Missliebige unterschiebt, um sie auf
[...] bequeme Art und Weise loszuwerden“. Der unschuldige,
aber für das System gefährliche Toffler muss am Ende vor den Augen des Ich-Erzählers sterben. Obwohl gemäß der Tradition des Thrillers damit der vom
Geheimdienst identifizierte Staatsfeind beseitigt ist, bleiben die wahren Täter
und Gegner einer humanen und demokratischen Gesellschaft – F. und seine
Hintermänner – unbeschadet. Ihre Kriminalisierung kann nicht mit der Chicagoer
Schule erklärt werden, sondern ist auf den Machtanspruch der Herrschenden
zurückzuführen. Da Schmidt sich damit den Thesen der Kritischen Kriminologen
nähert, werde ich im Kapitel Kritische Kriminologie – kritische Autoren noch
einmal kurz auf „Augenschein“ zu sprechen kommen.
Während der
Protagonist in „Augenschein“ an dem verlogenen System zugrunde geht, ist Känder
in „Erfindergeist“ der Initiator des Spiels aus Lug und Trug und gefährdet
damit das friedliche Zusammenleben. Nicht nur, dass er Mitglieder des
konkurrierenden Geheimdienstes liquidiert bzw. in Verruf bringt, auch
unschuldige Zivilisten gehören zu seinen Opfern. So ermordet er kaltblütig die
Schwester Traphans, die ihm bei seinen Plänen im Wege steht.
Darüber hinaus
verführt er Traphan dazu, Magin zu erschießen. Aufgrund seiner Ideologie
(Traphan ist Trotzkist und glaubt, Känder bekämpfe den Kommunismus) und Naivität
lässt der an Schizophrenie Erkrankte sich leicht beeinflussen. Wie von der
Chicagoer Schule angenommen, erlernt Traphan von Känder kriminelles Verhalten
und bekommt durch ihn Zugang zu illegitimen Mitteln. Als Symbol dafür dient
die Pistole.
Anhand des
Ich-Erzählers verdeutlicht Schmidt erneut die Gefahr des rein zweckorientierten
Handelns. Känder selbst verfährt rein pragmatisch und lässt sich bei seinem
Handeln von keiner Ideologie leiten, wie sein Vorgesetzter Stankowitz
feststellt: „Im Grunde haben Sie
überhaupt keinen ideologischen Standpunkt. Politik ist Ihnen gleichgültig.
[...] Sie glauben, daß der Dienst nur noch ein Laden ist, der sich mit sich
selbst beschäftigt – und bestenfalls einmal einen Gegner erledigt. [...]
Fanatiker werden leicht zur Gefahr, sie brechen früher oder später aus dem
Geschirr aus. Sie dagegen betrachten Ihre Arbeit als nüchternen Brotberuf. Oder
als eine Art Kreuzworträtsel, bei dem Sie weniger die Inhalte als die
auszufüllenden Positionen interessieren.“
Wie in „Augenschein“
bleibt auch in „Erfindergeist“ im Interesse des Machterhalts der wahre Täter
ungeschoren. Da Stankowitz auf Känders Arbeitskraft angewiesen ist, verspricht
er, dessen Morde zu vertuschen. Trotzdem scheitert auch in diesem Roman der
Protagonist: Obwohl seine Intrige zum gewünschten Erfolg führt, wird er von
Stankowitz in den Innendienst versetzt. Wie in „Augenschein“ kommt es hier zu
einer Verschiebung von ingroup und outgroup: Gehörte Stankowitz bislang den
Nutznießern der Intrige Känders, überlegt der Ich-Erzähler auf den letzten
Seiten, mit welcher Sabotage er Stankowitz ins Abseits befördern kann. Der
alles entscheidende Kampf wird damit über das Ende des Romans hinaus
verschoben.
9.1.2. Die kritische Kriminologie
9.1.2.1. Kriminalisierung und
Strafrechtsanwendung
Der Literaturwissenschaftler Günther Waldmann, der das
Phänomen der Gewalt in der Kriminalliteratur kritisch untersucht und es mit
einer strukturellen Gewalt der westlichen Gesellschaft in Zusammenhang bringt,
vertritt eine ähnliche These: „Unsere
Gesellschaft stellt so immer auch eine strukturelle Legitimation der
Gewaltausübung dar, einer Gewaltausübung – etwa im Bereich der Wirtschaft –
allerdings nur in bestimmten Formen und Grenzen gemäß bestimmter Konventionen und
Normen.“
Wer diese nicht einhalte, werde sogleich sanktioniert,
kriminalisiert und von der Staatsgewalt verfolgt. Die legitimierte
Gewaltausübung durch die Staatsgewalt werde durch den Thriller übermittelt und
gerechtfertigt.
Peter Schmidt steht diesem Problem reflektiert gegenüber. In
seinem Spionagethriller „Augenschein“ verkehrt der Ich-Erzähler die
gerichtliche Verfahrensweise und die Unschuldsvermutung in ihr Gegenteil: Bevor
der „Angeklagte“ überhaupt eine Straftat begangen hat, wird er für schuldig
befunden und zum Tode verurteilt. Maßgeblich verantwortlich ist dafür sein
Kontaktmann F., der als Vertreter des Staates und des westdeutschen
Geheimdienstes in Erscheinung tritt. Als Grund für die Kriminalisierung und
Liquidierung Tofflers erkennt Ich-Erzähler Cordes den unbedingten Machtanspruch
des Staates und dessen Angst vor Tofflers Philosophie des „guten Willens“:
„Ich ahnte
plötzlich, was ihn in F.s Augen – und in denen seiner mutmaßlichen Hintermänner
– vielleicht unerträglicher und gefährlicher erscheinen ließ als die Annahme,
er sei ein Agent des Ostens: Nicht vor der Radikalität der Bewegung, dem
Komplott und der Verfassungsfeindlichkeit, in dem sie stand, fürchtete man
sich; sondern davor, daß eine Welle des guten Willens das überkommene und
‚wohlgeordnete’ Parteien- und Machtgefüge zu unwillkommenen Änderungen nötigen
würde (schon die Veränderung fürchtete man, gleich welcher Art).“
Die Agenten des Kriminaljustizsystems handeln bei Schmidt
entgegen den Interessen der Gesellschaft aus politischen („Augenschein“)
oder persönlichen Motiven („Erfindergeist“) und treten als kaltblütige
Mörder in Erscheinung.
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Peter Schmidt auf WIKIPEDIA
SACHBUCHTIPP ...
Eine gesellschaftskritische Analyse
Menschliche
Verrohung, wie wir sie gegenwärtig erleben, begann schon mit dem Auftauchen des
Homo sapiens. Und die Prognose bleibt weiter ungünstig. Ein großer Teil der
Menschen ist aggressiv und gleichgültig. Habgier, Egoismus, Verachtung,
Niedertracht, Hass und Rache, Vergeltungsdenken, Aggressivität und Lust am
Bösen sind an der Tagesordnung.
Ein
britischer Historiker hat einmal die Kriegstoten der bisherigen
Menschheitsgeschichte gezählt, soweit rekonstruierbar: Bis zu dreieinhalb
Milliarden Tote, also etwa die halbe gegenwärtige Weltbevölkerung. Dazu Folter,
Hunger, Vergewaltigung, Unterdrückung, Mord durch Inquisition, Mord aus
politischer Willkür, Amokläufer, Psychopathen, Selbst-mordattentäter und
Sprengstoffanschläge - und das bis in die jüngste Gegenwart …
Eigentlich
hätte schon ein zehnjähriges Kind mit durchschnittlicher Intelligenz bemerken
können, dass die Juden zur Zeit des Nationalsozialismus gar kein gemeinsames
Merkmal hatten wie "minderwertige Rasse",
"Weltverschwörer", "Ausbeuter". Erst recht nicht, um dann 6
Millionen Menschen zu töten. Dazu musste man sich ja nur irgendein jüdisches
Schulkind, die alte jüdische Gemüsehändlerin an der Ecke oder irgendeinen
arbeitslosen jüdischen Arbeiter ansehen. Hinter alledem steckt also auch noch ein
offensichtliches Intelligenzdefizit. Allerdings:
Dann gibt es neben so viel "schlechtem Menschenmaterial"
auch noch die Guten, Friedlichen, Hilfsbereiten, Kooperativen ...
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